Paul Polyfka
13. März 2025
Diese Erkenntnis hat mich bis heute geprägt. Ich erzähle sie, weil ich glaube, dass viele Führungskräfte sich in ähnlichen Situationen wiederfinden werden. Denn gerade in Krisen kommt es darauf an, nicht nur den richtigen Weg zu kennen, sondern ihn auch empathisch zu gehen.
Ende 2019 war die Stimmung in unserem Team hervorragend. Ein erfolgreiches Jahr lag hinter uns, die Herausforderungen waren bekannt, Ressourcen geplant, strategische Ziele definiert. Auch meine Beziehung zu einer der langjährigen Führungskräfte war ausgezeichnet – fast schon freundschaftlich. Ich war Förderer, Wegbegleiter, Befürworter. Wir hatten gemeinsam Zeit verbracht, unsere Familien kannten sich.
Doch dann kam die Corona-Krise. Plötzlich stand die Stabilität eines bereits wackeligen Geschäftsbereichs unter massiven Druck. Ich wusste: Die Leistungsfähigkeit dieses Bereichs würde in der Pandemie wichtiger sein als je zuvor. Es musste schnell eine strukturelle Stabilität her – besser heute als morgen.
Als Krisenmanager im Bayerisches Rotes Kreuz (BRK)während der Pandemie wusste ich, dass ich diese Stabilisierung nicht eng begleiten konnte. Also gab ich die Verantwortung ab – und kommunizierte klar, dass diese Führungskraft den Prozess eigenständig tragen musste.
Ich wollte Klarheit schaffen. Ich wollte die Realität ungeschönt darstellen. Und ich wollte sicherstellen, dass die Führungskraft die Dringlichkeit erkennt. Doch ich habe eines nicht bedacht: den Menschen.
Erst später habe ich verstanden, dass Klarheit ohne Einfühlungsvermögen zu einem Missverständnis führen kann. Ich hatte ein Vertrauensverhältnis über Jahre aufgebaut, und mit einem einzigen Gespräch drohte es zu zerbrechen. Nicht, weil die Fakten falsch waren, sondern weil ich die emotionale Komponente unterschätzt habe.
“Ich habe mich zu spät gefragt, ob ich Recht haben will oder mit der Führungskraft in Beziehung bleiben möchte.“ – Paul A. Polyfka
Im ersten Gespräch war das Verständnis da. Doch als die vereinbarten Maßnahmen nicht umgesetzt wurden, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Mein Gegenüber leugnete die Vereinbarungen, ich begann, meine Erwartungen zu verschriftlichen – um Klarheit und Verbindlichkeit zu schaffen.
Die Reaktion? Die Führungskraft wurde krank. Und die Erkrankung wurde fortgesetzt. Ich konnte keinen Dialog mehr herstellen. Die Situation eskalierte, am Ende stand die Trennung vor dem Arbeitsgericht.
Ich fragte mich: Hätte ich noch mehr tun können? Vielleicht. Vielleicht hätte ich deutlicher nach den Sorgen fragen müssen, die sich hinter der Verweigerung verbargen. Vielleicht hätte ich ein zweites Gespräch ansetzen sollen, nicht mit der Intention, Lösungen zu erarbeiten, sondern nur, um zuzuhören.
Damals dachte ich: Es gab keine andere Lösung. Heute weiß ich, dass ich Signale übersehen habe. Mangelhafte Ergebnisse, die ich mir schöngeredet habe. Verantwortung, die ich gutgläubig und einvernehmlich übergeben habe – obwohl die Belastungsgrenze längst überschritten war.
Empathie hätte mir helfen können, früher zu erkennen, dass mein Gegenüber vielleicht nicht über die Ressourcen verfügte, um die Verantwortung in dieser Form zu tragen.
Was ich damals nicht erkannte, wurde mir erst später klar – als ich das Modell von The 5 Chairs Germany von Louise Evans kennenlernte. Dieses Modell zeigte mir, dass mich der Erfolgsdruck zu einem menschlich unterkühlten Verhalten geführt hatte. Ich war im „Lösungstunnel“, fokussiert auf Effizienz, nicht auf den Menschen.
Heute nutze ich Empathie als Kompass. Ich bin überzeugt: Klarheit, Empathie und Flexibilität sind die drei wichtigsten SuperSkills von Führungskräften. Sie sind kein Soft-Skill-Luxus, sondern essenziell für nachhaltigen Erfolg.
Und dabei habe ich gelernt: Empathie ist kein Verzicht auf Zielklarheit. Es gibt keine Grenze zwischen beiden. Zielerreichung ist empathisch möglich – und manchmal gerade deshalb erfolgreicher.
Empathie bedeutet nicht, jedes Bedürfnis erfüllen zu müssen. Sie bedeutet, Bedürfnisse zu erkennen, sie auszusprechen und einen Raum zu schaffen, in dem Klarheit herrscht – auch über Grenzen.
Das Modell von The 5 Chairs™ hilft mir bis heute, meine eigene Haltung zu reflektieren. In der Krise saß ich zu oft im roten Stuhl: fokussiert auf Probleme, Defizite und Lösungen.
Was ich gebraucht hätte? Mehr Zeit auf dem violetten Stuhl – zuhören, fragen, Verbindung schaffen. Oder im blauen Stuhl – reflektieren, verstehen, meine Bedürfnisse besser erkennen.
Heute versuche ich, in jedem schwierigen Gespräch kurz innezuhalten und mich zu fragen:
„In welchem Stuhl sitze ich gerade? Und in welchem sollte ich sitzen?“
Diese innere Frage hilft, bewusster und empathischer zu handeln – selbst unter Druck.
Zusätzliche Reflexionsfragen:
Mein wichtigstes Learning? Lege Dir empathische Führung als Handlungsziel zurecht und verwechsle es nicht mit Schwäche oder Gesprächstherapie.
Und natürlich gilt: Arbeit ist Arbeit – mit einem klaren Leistungsversprechen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Doch Empathie schafft den Raum, in dem auch schwierige Gespräche möglich sind. Sie hilft, neue Wege zu zeichnen, wenn der alte nicht mehr gangbar ist.
Empathie kostet Energie. Aber keine Empathie kostet Beziehungen. Woran merkst Du in Deiner Führungsarbeit, dass Du genug empathisch warst?